Montag, 17. Januar 2011

episode eins

machen wir uns auf den weg, denke ich und lege meinen rucksack in joses kofferraum. er hat das auto in lima gekauft und fährt es nach arequipa, um es dort mit gewinn zu verkaufen. welch glück für mich. eine halbe stunde habe ich ganz amateurhaft an der panam gestanden und mit gestrecktem daumen gewartet, dann hat er angehalten. wohin willst du, fragt er, ich sage, nach süden irgendwie, vielleicht ica, vielleicht ein bisschen weiter… naja, ich fahr weit nach süden, wo willst du genau hin? ich hoffe, morgen in arequipa anzukommen, das ist mein ziel. prima, ich fahr nach arequipa, steig ein. ich steige ein und wir fahren los. ich bin ein mensch mit manchmal ganz erstaunlichen mengen glück.

ein ganzes stück kenne ich schon, aber irgendwann denke ich: nun nicolas, so weit im süden dieser welt bist du noch nie gewesen… wir fahren und fahren und die landschaft verändert sich stündlich, mal sehen wir den ozean, mal nicht, mal wird es schroffer, mal sandiger. plötzlich bemerke ich, dass wir auf einer schnurgeraden linie fahren. jose, ich glaub, ich muss mal ein foto machen. wovon? von, ähm, von dem nichts. hast du schonmal so ein nichts gesehen? nicht, dass ich mich erinnere…



wir fahren weiter, immer weiter, immer immer weiter. mal gibt sich hinter einer hügelkuppe plötzlich der blick auf ein ganz und gar grünes tal auf. tausende olivenbäume stellen einen enormen kontrast zu dem dar, was sonst zur rechten und linken an uns vorbeifliegt. immer wieder wüste, mir ist vorher gar nicht klar, was für unglaublich unterschiedliche wüsten es gibt. nun passieren wir unterschiedlichste sandkörnungen und geröllgrößen, vom wind malerisch geformte dünenformationen, mal schwarz, mal rötlich, mal weiß… und die straße verläuft die meiste zeit recht stracks gen süden. irgendwann dunkelt es, in unserem rücken geht die sonne im pazifischen ozean baden und schenkt dem himmel unfotografierbare farbspiele.



ich folge mit meinen augen dem licht der scheinwerfer, sonst nur schwarz, tiefe, undurchdringbar überzeugende nacht. hin und wieder begegnet uns ein bus, der gefährlich weit in die kurven hineinfährt, durch ihre lichtwand, die sie vor sich herschieben, ist man aber rechtzeitig gewarnt. gelegentlich wird rechts im streulicht sichtbar, dass nach ende das asphalts noch ein bisschen sand kommt, vielleicht mal eine schroffe kannte, dann aber wirklich nichts. ich vermute ein paar hundert meter unter uns das meer… wellen schlagen von niemandem gesehen oder gehört gegen die ausläufer der anden, nie innehaltend.

irgendwann, nachdem wir schließlich doch vom ozean ins landesinnere gefahren sind, überqueren wir eine passartige straße und vor uns breitet sich ein riesiger lichtteppich aus: arequipa! ja, denke ich, arequipa, ich komme! dann bald (bei dunkelheit durch peruanische städte fahren ist immer ganz merkwürdig, vor allem die außenbezirke wirken dann so schroff, alle häuser ganz verschlossen, kein mensch auf der straße, nur hin und wieder ein streifender hund… das alles im merkwürdigen gelben licht der straßenlaternen. unlebendig irgendwie.) setzt jose mich vor dem kinderheim zweier freundinnen ab. angekommen, fünfzehn stunden, viel schneller ist kaum möglich und komfortabler mit sicherheit nicht. das war zwar eigentlich nicht meine idee, aber jetzt bin ich froh, so früh bei den mädchen angekommen zu sein, gebe jose die vorher vereinbarten dreißig soles (das sind etwa neun liter benzin, also fast nichts) und verabschiede mich mit einem festen händedruck. da werde ich auch schon von nele und alina in empfang genommen – was nach über vier monaten schon eine wirklich ganz merkwürdige sache ist, aber sich sofort so gut anfühlt… -, es ist mitternacht, wir quasseln noch eine ganze menge, dann gehen wir schlafen. etappe erfüllt.



wir verbringen einen guten ersten tag, zum teil im gelben kinderschlepper ihres kinderheimes, zum teil im stadtzentrum der weißen stadt. abends gibt es heimlich ein bisschen vorbereitung und um mitternacht darf nele in die küche und die kerzen ihres geburtstagskuchens ausblasen… versuchen… tadaa, das sind gehennichtaus-kerzen. irgendwann aber schon. das licht in unseren zimmern erst deutlich später.

heute fängt gut an, nele und ich gehen einfach los, stadtauswärts, bergauf. synonym: gen armut. bald aber gehen wir hinunter zum rio chili. mit viel sand in den schuhen kommen wir unten an und setzen uns auf die großen großen steine im flussbett. es duftet gut, sehr gut und es klingt noch viel besser… dieses rauschen! als limeñer hab ich sehr wenig wasser in meinem leben, es fühlt sich so gut an, zwischen diesem leben zu sitzen. ich forme meine hand zu einer kelle und trinke, oh wie gut. zuviel lieber aber nicht, wer weiß, welche fabrik weiter oben was ins wasser leitet. wir sitzen eine ganze weile einfach so dort. irgendwann klettern wir ein bisschen flussabwärts und schließlich entfernen wir uns durch die alfalfafelder (was für ein wort…) wieder vom chili, rauschen im rücken. eine kleine unterhaltung mit einem schafhirten später treten wir aus dem grün wieder in den sand, viel viel grün hat arequipa auch nicht. auf dem weg nach oben rasseln an uns einige lkws vorbei, der boden bebt. wir laufen, vertieft in weiß gott welche themen, als plötzlich etwas großes über unsere köpfe segelt. uns klappt der mund auf, es ist wirklich etwas großes, wir sind uns nicht sicher, was es ist, aber ja, es ist groß, so einen großen vogel hab ich noch nicht gesehen. vielleicht ist es ein echter andenkondor.. wenige meter über unseren köpfen, in den krallen eine taube. majestetisch mit erhabenem flügelschlag aber vor allem die aufsteigende luft nutzend, hebt er sich in die höhe, immer weiter, wir folgen ihm, den kopf in den nacken gelegt, bis er schließlich das tal kreuzt und wir ihn in der ferne aus den augen verlieren… ein kondor… naja, immerhin ists nicht unwahrscheinlich, und als wir später nachsehen, wie ein kondor auszusehen hat… naja, wir glauben also, wir haben einen andenkondor gesehen, ganz nah. komisch ists, da ist der kondor so etwas markantes für unser land hier, und im entscheidenden moment weiß man ihn dann nicht zu erkennen… ein geburtstag in arequipa. reiseführer aufgeschlagen und nachdem wir erst nen amüsierend enttäuschenden fehlversuch gestartet haben, fahren wir irgendwie nach osten in einen kleinen vorort. dort machen wir quatsch und außerdem machen wir etwas, was von uns niemand vorher gemacht hat: reiten. 




nele hat geburtstag, also reiten wir eine runde, nun gut, die pferde kennen den weg in und auswendig, aber dennoch haben wir ein unheimlich gutes gefühl. plötzlich haben wir lust, richtig reiten zu lernen. wir fahren irgendwann irgendwie zurück zu den beiden nachhause und sind eigentlich einfach glücklich, zusammen ein bisschen freie zeit zu haben. zu reden gibt es ja tausend dinge und mehr.


am folgenden tag machen wir uns abends mit gut gepackten rucksäcken im engen combi (so gehört das hier eben) zum busterminal auf. als unsere rucksäcke im bauch des großen blauen wals verschwunden sind – die kistenweise gestapelten hühnerküken werden entgegen meinem vorschlag an den fahrer nicht aufs dach geschnallt, sondern bleiben noch ein bisschen in qrequipa – ist es bereits dunkel und mit ganz viel wühlender vorfreude fahren wir los. um die busfahrt zusammenzufassen: es wird superkalt, mein sitz lässt sich nicht umstellen, die tot wirkenden, gelborange beluchteten städte, die am stark beschlagenen fenster vorbeiziehen, haben etwas so seltsames und statt zu schlafen, beobachte ich sand, felsen und straßenschilder. endlich nicht bequem reisen, endlich die kilometer auch wirklich spüren, ja so stell ich mir das vor. um zwei uhr nachts hält der bus in puno, das liegt auf unserem reiseplan aber ganz viel weiter unten, und so vertreten wir uns die beine, ich denke, oh krass, und wir steigen wieder ein und fahren noch zwei stunden nach desaguadero.

er hält, all die menschen im gang sind so dick eingewickelt in mützen, jacken und decken, dass sie in der dunkelheit ganz unheimlich aussehen. schnell aussteigen und rucksäcke sichern, dann irgendwann lassen wir uns von einem fahrradtaxi bequatschen, der weg zur grenze sei noch weit. als wir nach 3minuten langsamen radgefahrenwerdens auch noch das doppelte des besprochenen bezahlen sollen, pack ich aus, was ich mir an redefähigkeiten und eingeweihtheit schon angeeignet hab. zwei maulige radtaxistas zurücklassend suchen wir ein kleines teelokal auf: ein tisch, zwei bänke, über alles einige blaugraue planen. die leiterin dieser heißwasserschenke macht uns manzanilla: kamille, noch richtig getrocknet mit wasser aufgegossen. unendlich glücklich trinken wir, langsam macht sich wieder fließendes blut bemerkbar, wir wärmen uns ein bisschen auf. während wir dort sitzen, spricht die alte hin und wieder mit wem vor dem zelt. aymara. preinkanische sprache südperus und nordboliviens. es klingt so fremd, wir lauschen mit ganz neugierigem herzen den ungewohnten kratz und knacklauten… da die grenzbehörde noch lange nicht aufmacht, vertreiben wir uns die zeit mit menschengucken und in der aufgehenden sonne aufwärmen lassen. von verschiedenen ecken hört man das gerücht, dass sich bolivien im sonderzustand befinde. aufgrund gestriger benzinerhöhungen durch die regierung seien die menschen auf die straße gegangen und blockierten seit mitternacht jegliche zugänge zu den großen städten. wo wollen wir hin? la paz. la paz ist dicht, kein reinkommen. mit hin- und herüberlegen verbringen wir allerlei zeit. frauen schieben mit vielen ziegeln schwer beladene wagen vor sich her, an kleinen holztischen wird geld gewechselt, nicht selten wohl auch falschgeld, immer mehr erwacht der grenzplatz zum leben, wir gehen auf die grenz brücke, mir bleibt der atemn kurz weg, eröffnet sich mir dort doch ein unglaublicher blick auf den südlichen ausläufer des titicacasees – wow, das wird eine geniale reise und nein, ich brech hier nicht ab, auf nach la paz, egal wie, und wenn wir laufen müssen oder uns außerhalb nen bett suchen, bis sich die lage nach ein oder zwei tagen entspannt hat, nach la paz, la paz la paz! – und dann plötzlich fährt dort ein combi entlang, der allen ernstes, ich dachte ich träume, zwei lamas aufs dach geschnürt durch die gegend fährt. ich muss lachen, obwohl die armen dinger da oben kaum ihren kopf heben können, so unbeschreiblich grotesk ist der moment und wie zur hölle haben die zwei so große, starke, widerspenstige tiere darauf bekommen, das ist immerhin vwbus-höhe... ich denke, ich müsste mich hier mal mit nichts außer papier und stift und zeit hinsetzen und schreiben, grenzimpressionen…


als wir endlich unsere peru-ausreise-stempel haben schließen wir uns mit drei peruanern zusammen, die in den bolivianischen regenwald wollen und dafür auch nach la paz müssen. abschiedsschild peru, willkommensschild bolivien (wie lustig sich das bolivianische geld anfässt und wie es aussieht, macht uns lachen, außerdem heißt es, genau wie die bewohner des landes, schlicht und missverständlich „bolivianos“) und einreisestempel bolivien. dann lange suche und diskussion mit den taxi- und combifahrern, die an normalen tagen in hoher frequenz zur nichthauptstadt boliviens fahren, heute aber keinen spaß an der vorstellung finden, die scheiben von straßenblockierenden aufständischen eingeschlagen zu bekommen. dann finden wir irgendwann glücklicherweise aber doch platz in einem combi, der zumindest an die stadt el alto heranfahren will. el alto… im grunde hat was was legendäres. la paz liegt in einem sogenannten topf, als der topf mit menschen voll war, haben sich die immer mehr zuziehenden indigenen landflüchtlinge hoch (=alto) am rand des topfes angesiedelt. mittlerweile hat el alto beinahe die gleiche einwohnerzahl wie la paz selbst, fast ausschließlich indigener ethnie, und eine eigene stadtverwaltung. irgendwie wie ein doppeltes spiegelei. (komischer gedanke?) 

das ist, was wir vorher wussten.

3 Kommentare:

  1. Es war deine beste Idee: Mich zu meinem Geburtstag besuchen zu kommen :)

    GottweißwelcheThemen und 70 Jahre alte Vögel - wir haben schon so einiges aufm Kasten. War das Wink genug? :P

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  2. und ich bin hier, wo ich bin und lese, wo du bist und weiß:ich werd einiges tun, um bei dir sein zu können!

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  3. Ich freue mich auch sehr drauf, bei dir zu landen, Alter!!

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