Freitag, 24. Dezember 2010

vor weihnachten

hilda sagt, dort sind zwei pakete für dich angekommen. ich mache einen satz die beiden stufen aus der küche in den hof hinab und sehe links auf der abgedeckten waschmaschine, die das wasser nicht heizen kann, wie scheinbar alle waschmaschinen limas, tatsächlich zwei pakete liegen. mich überrascht es, ich habe ja erst vor zwei tagen eines bekommen. es ist ein großes und ein kleines paket, merkwürdig fühlen sie sich an, sind sie doch zwei wochen lang unterwegs gewesen, kommen von einem ort, den ich mir oft vorstelle, der aber soweit von hier entfernt ist, dass alles zwischen dort und hier unendlich unvorstellbar ist. im gleichen moment lese ich die adressscheine und merke, wie gut es mir tut, die handschrift meiner großmama und meiner mamamama zu lesen. hilda nimmt wahr, dass ich mich direkt mit den beiden paketen in mein zimmer zurückziehe, die tür schließe und lange zeit nicht hinauskomme. ich nehme mein kleines stumpfes taschenmesser, das gute scharfe bleibt lieber bis nächste woche unbenutzt, und setze mich aufs bett, mit den beiden pappdingern auf dem schoß, denen man ihre reise durchaus ansehen kann. ich atme tief ein, dann schneide ich, viel klebeband, erst das kleine päckchen, eingewickelt in dieses raue, matte, bräunliche paketpapier finde ich luftblasenfolie. auch dessen klebeband schneide ich auf und falte auf, mir zittern die hände.

…ein kleiner trockener tannenzweig. ich nehme ihn ganz vorsichtig – wie etwas sehr zerbrechliches und sehr geliebtes… - und hebe ihn ganz ganz langsam, sein aroma strömt mir ins gesicht, noch näher hole ich den beweis für die existenz von tannenbäumen, die nicht aus plastik bestehen und bei mangelnder handwerklicher begabung nach anleitung zusammengesteckt werden müssen.

dieser duft macht mich weinen… ich sitze und atme ein, was mir sosehr gefehlt hat in dieser peruanischen vorweihnachtszeit. mir war nie zuvor bewusst, wie unbeschreiblich gut tanne duftet, welche große bedeutung dieses detail für weihnachtsgefühle hat… es ist wunderbar, ich bewege mich nicht, inhaliere, denke an daheim und meine großeltern…

ich höre nicht auf zu weinen, lege den zweig nach einigen lungen voll diesen duftes neben mich und mein herz wärmt sich mit jeder kleinigkeit in diesem päckchen mehr. in den nächsten stunden füllt der tannenzweig den raum mit seinem wirklich weihnachtlichen aroma, bis ich ihn einpacke, in der angst, sein aroma könnte vergehen.. für diese zeit fühle ich mich wirklich wie auf omas sofa…


nach einiger zeit lege ich das erste päckchen beiseite und widme mich jenem anderen. es kommt aus der gropiusstraße… da bin ich zuhause. ich kann mich nicht erinnern, dass mich das lesen einer adresse jemals zuvor so sehr berührt hat… ich liebe dieses graubraune paketpapier, verstärkt mit silbernem gaffa-klebeband lässt es sich nicht schnell öffnen, aber ich bewege  mich sowieso sehr langsam, tranceartig… ich wickle einen schuhkarton aus und warte einen augenblick, bevor ich ihn öffne. dann schlage ich den deckel auf und bin plötzlich… ganz magisch… und glücklich weinend…      …zuhause.

ich nehme die weihnachtsleckereien einzeln hinaus, es sind genau die dinge, die mir hier in diesen letzten wochen des jahres fehlten. besonders ein kleines transparentes tütchen mit aufgedruckten goldenen sternchen zieht meine aufmerksamkeit auf sich. in gerührter aufregung noch, aber ein bisschen beruhigt, öffne ich vorsichtig, in vorfreude badend die goldbandschleife. der duft, der in dieser tüte konserviert aus der geliebten küche bis hierher gelangt ist, treibt mir ein meer in den mund. vorsichtig nehme ich eines der mürben quadrate und beiße ab….

meine brust bebt. über meine wangen rennen erneut tränen. es sind glückstränen ob dieser himmlischen, von mama mit merklich unendlich viel liebe gebackenen lebkuchen. es sind unglückstränen ob der enormen distanz, die mich dieses mal in der heimlichsten zeit des jahres, in der meine familie so nah zusammenkommt, ohne dass auch nur ein herz fehlt, wirkliche sehnsucht lehrt... es sind gute tränen, ganz sicher.

als ich mein zimmer nach langer zeit verlasse, um mir das gesicht zu waschen, halte ich im türrahmen inne, sehe in den limeñer himmel und merke, wie glücklich ich bin. endlich spüre ich weihnachten. die komprimierte dosis all der dinge, die ich offenbar mit weihnachten verbinde, ist aus den beiden wichtigsten häusern meines lebens bis hierher gelangt, um mich zu beschenken. mein zimmer ist das einzige in lima, dass wirklich nach tanne duftet, ich kann hildas und franciscos zunge mit wirklich deutschen l(i)ebkuchen verwöhnen und habe für heute abend sogar etwas kleines auszupacken.

das einzige, was fehlt, ist der große runde tisch, an dem bald 13, statt normalerweise 14 personen platznehmen. mir fehlt der tisch und ich fehl dem tisch. sehr. gerade jetzt. ich bin dieses eine jahr nicht mit meiner familie zusammen, ich kann nicht. …durch diese pakete fühle ich mich euch aber so nah, dass ich es am ende gut ertragen kann. ich spüre die zugehörigkeit wie nie zuvor… ich spüre weihnachtliches glück. vor ein paar tagen war eben das für mich noch unvorstellbar...



vielleicht ist weihnachten
nichts als liebe zu den menschen.

3 Kommentare:

  1. Wow. Es ist echt rührend, wie ehrlich und detailliert du von den Präsenten erzählst. Die scheinen sich wirklich gelohnt zu haben!

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  2. Deine Mama hat Recht.
    Komme gerade zurück von meiner liebevollen Zeit mit den Kindern und hoffe, dass du noch voll liebevoll vollgefüllt am Esstisch in Lima sitzt. Ich glaube, dass fast alle Tränen gut sind. Feliz Navidad :) (Wie komisch sind bitte Raketen zu Weihnachten?)

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