Freitag, 24. Dezember 2010

begegnung am strannd

die abfahrt lurin/pachacamac führt eine ausladende kurve entlang, von der wir auf den pazifik sehen können. anna und ich. eigentlich sollte ihr freund mit im auto sitzen, aber er ist nicht angekommen am flughafen. nach viel angst und tränen in annas gesicht und vielen fragezeichen in meinem hirn hat sie eine email von ihm bekommen, wegen des vielen schnees ist er in frankfurt vier stunden verspätet gestartet, hat in madrid seinen anschlussflug nach lima verpasst und sitzt deswegen jetzt in santiago de chile. so sind wir also wieder nach süden aufgebrochen, ich kenne diese strecke von einem stadtende zum gegenübeliegenden jetzt gut. wen von euch darf ich da oben mal abholen?

wir sehen also auf den pazifik und anna sagt, ich will an den strand. wir fahren aber richtung jose galvez weiter, francisco und hilda wissen nicht so genau, warum wir zehn stunden lang unterwegs sind. dann passieren wir die wüste, den teil, durch den ich immer laufe, aber es ist anders als sonst. der wind fegt feinsten sand über die asphaltpiste, es sieht ganz verrückt aus. so verrückt, dass ich denke, bei dem wind müssen die wellen doch riesig sein. ich wende also und wir fahren zu meer. wir passieren zwei schranken, die wie ich glaube gegen pferdediebe schützen wollen, problemlos, weil die sicherheitsleute mich dort ja schon kennen. wir fahren diese holprige – anna sagt das gleiche, was ich immer denke – mediterran anmutende allee entlang und parken das auto schließlich vor den schuttbergen vor meinem strand. wir setzen uns in den warmen sand und lassen den blick schweifen, anna legt sich hin und holt zum ersten mal seit einem halben tag luft, ich gehe zum auto und hole eine leere flasche, um ein bisschen von dem tollen sand mitzunehmen. so verbringen wir einen augenblick dort, wie man augenblicke dort am besten verbringt: sinne freigelassen.

dann sehe ich etwas weiter links etwas, meine neugier ist geweckt. ich nähere mich, sehe: ja ein tier, vielleicht ein pinguin? nein, zu braun. vielleicht ein seehund? nein, zu klein. also ein seehundjunge? in diesem augenblick – ich habe nur noch drei oder vier meter abstand – hebt das kleine, trockene, leblos wirkende wesen des meeres seinen kopf und öffnet seine pechschwarzen augen… mein herz springt. gleich zweimal, erst aus heftigem schreck, dann aus noch heftigerem glück. ich gehe in die knie, direkt vor mir ein seehundjunge… ein wildes seehundjunge…

es ist ganz offensichtlich unheimlich schwach, von einer stärkeren welle bis hierher gespült, kraftlos liegen geblieben, von der sonne halb ausgetrocknet. wir holen wasser in unserer flasche und baden es, den rücken, den kopf, die augen befreien wir von den eiterigen tränen, die uns rühren. trinken will das kleine nicht, irgendetwas stimmt nicht. ich streichle es. das feuchte fell, ganz glatt vom talg, dennoch matt. nach einigem behutsamen annähern streichle ich seinen kopf… ich muss an emelie denken, das hier ist zwar ein sehr anderes tier, sieht man nur seine aus der nähe betrachtet unglaublich konstruierten gliedmaßen, aber es hat tatsächlich das gesicht eines hundes… ich streichle einem seehundjungen am pazifkistrand von südlima die stirn…

wir überlegen noch, es ins meer zurückzutragen, dann reicht jedoch eine welle so weit den strand hinauf, dass das kleine tier überschwappt und wenige meter weitergerollt wird. daraufhin richtet es mit aller letzter kraft seinen oberkörper auf und (mir fehlt das wort für die fortbewegungsweise von seehunden an land…) kriecht ein stück. nicht richtung meer, wie wir noch dachten, im gegenteil. es bewegt sich eindeutig vom wasser weg. weit kommt es nicht, aber die idee, es auf einen höheren teil des strandes zu heben, legen wir sofort wieder ab. wir verstehen nicht, was hier passiert, aber wir begreifen, dass es keinen sinn hat, in die natur derartig einzugreifen.

mit der vorstellung, dass das schwache seehündchen sich wohlmöglich aus dem ozean zurückzieht, um am strand in ruhe zu sterben, einem seehundkodex folgend, der der reinhaltung des reiches dieser so andersartigen tiere dient, gehen wir. wir sagen lebewohl, merkwürdiges, merkwürdiges gefühl…

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