Dienstag, 19. Oktober 2010

pazifiktaufe, rennrad, olimpiades escolares, erstaunen über blondes haar in villa alejandro

ich ziehe die klebenden socken von meinen füßen und setze einen, dann den anderen fuß in den warmen sand. ich streife mein schwarzes shirt ab und spüre die sehr hoch stehende sonne. Ich nehme das klamme stirnband vom kopf und meine haare fliegen im wind.
dann laufe ich mit großen schritten los, mit blick in die weite, im vordergrund die brechenden wellen des pazifiks, darüber die wie im traum segelnden pelikane – ja, es sind tatsächlich pelikane... - im hintergrund nur freiheit. meine fußsohlen lassen das erste seichte wasser spritzen, es ist kalt, es ist auch nicht sauber, aber es fühlt sich seit dem ersten kontakt so lebendig an...
ich springe über die ersten wellen ins immer tiefere wasser. die kälte greift mich ganz, dann springe ich mit gestreckten armen, tauche unter der nächste welle hindurch, die wirbelungen spielen mit mir, der sog zurück ins meer richtet mich wieder auf. in mir schreit es vor glück. ganz und vollkommen werfe ich mich wieder und wieder in den ozean, lasse mich von den großen brechern schleudernd gen strand tragen. kaltes meerwasser hat mich noch nie so erhitzt, der geschmack von salzwasser ist noch nie so süß gewesen...
ich bade im pazifischen ozean.. und ab jetzt mindestens ein oder zweimal jede woche. hinlaufen durch die wüste, in die wellen schmeißen, die pelikane beobachtend in der sonne trocken, mit sandigen füßen zurück in die schuhe, durch die wüste zurücklaufen, unter die kalte dusche, dann einen heißen tee oder ein aufgewärmtes ganz frisches und unbehandeltes glas kuhmilch... so den tag beginnen. was für ein geschenk..

auf dem weg nach irgendwo. ich schwinge mich in den sattel. die reifen haben wieder luft, die kette wieder öl, der japanische rahmen leuchtet wieder rot. dass die bremsen noch nicht so sehr gut greifen, ist für das gefühl erstreinmal belanglos und in den nächsten tagen dann auch verbessert. ich fahre die pista von jose galvez entlang, mal schnell, mal langsam, überhole die anhaltenden busse, genieße den fahrtwind, sehe die allerleiläden, die chinoperuanischen „chifa“-restaurants, die kleinen stände mit viel obst und saftpressen und die läden für kopierte filme auf dvd an mir vorbeiziehen. fast bis zur zementfabrik, die den spitznamen „el monstro“ trägt, da sie von weitem einem solchen gleicht, leicht erhoben auf einem seichten hang des lukmos stehend, aus riesigen rohrkringeln geformt, rauch und qualm in die luft blasend, in der nacht ein wenig angeleuchtet, fahre ich die pista hinauf, dann wende ich und rolle zurück. wenn ich die notwendigen ersatzteile für die hinterradbremsen gefunden habe, kann ich dieses rennrad fertigmachen. und dann kann ich fahren, bis ich keine ahnung mehr habe wo ich bin, mir endlich einen stadtplan kaufen.
und irgendwie zurückgurken.

heute hat das juan valer sandoval, die schule vor meiner haustür, die elften olimpiades escolares ausgetragen. die drei deutschen freiwilligen hatten die ehre, die teams jeder klasse, etwa fünfzig an der zahl, nach ihrem auftreten zu bewerten. uniformierung und kreativität wurden ebenso bewertet wie die pünklichkeit. fast alle teams trugen trikots irgendeiner fussballmannschaft, amüsiert haben uns die nationaltrikots der tükei. so saßen sie also auf einem podium mit ihrer kaugummi-brause, marke inkakola, und betrachteten das spektakel, ließen sich vom wind allerlei konfetti und dosenschnee ins gesicht blasen und verteilten punkte.

anschließend wurde der grande maratón ausgetragen, je nach altersstufe eine runde um einige der umliegenden straßenblogs. die ganze schule versammelte sich auf der straße vor dem eingangstor, das normalerweise geschlossen gehalten wird, außer zu festen einlasszeiten, ohne jedoch die hunde vom schulgelände fernhalten zu können. es war kaum möglich, die bahn für die eintreffenden läufer freizuhalten, soviele kinder schoben auf die strecke mit dem wunsch, möglichst viel zu sehen. die trillerpfeifen liefen heiß, allerdings nicht mit negativer authorität geheizt, unsere schädel auch, die sonne stand im zenit. die gewinner der läufe erreichten unseren tisch mit erschöpfter glückseligkeit und prusteten ihren namen, damit wir sie ja festhielten, danach gönnten sie sich eine tüte wasser.



später standen drei jungs vor mir und sagten mir nacheinander, sie seien als erste ins ziel eingelaufen. sie gehen in die gleiche klassenstufe, das system der systemlosigkeit war also gescheitert. nach allerlei zielloser diskussion, ohne jedoch streit aufkommen zu lassen, wurden die listen geschlossen. wir wussten nicht, was lucho, der sportlehrer jetzt mit den uneindeutigen ergebnissen machen würde. das chaos war ein lebendiges vergnügen, systemscheitern so relevant dann wirklich nicht.
anschließend wurden die sprintrennen ausgetragen. als vorbereitung hatte lucho am vorabend unterstützt durch einige schüler mit ordentlich viel weißer farbe einfach laufbahnen auf die straße gepinselt. nun flogen die buntesten läufer über die piste um am ende ihre brust in das zielband zu strecken.
in unzähligen läufen ermittelte man die schnellsten jedes jahrganges, während auf dem schulhof parallel der weitsprungwettbewerb lief. einer rennt und alle köpfe folgen diesem einen gesicht, dann dem hinterkopf, um anschließend lautstark der bewunderung oder enttäuschung über die erreichte weite luft zu machen. irgendwann, als der zeitplan der sportlehrer schon mehr als absolut heillos überschritten war, lief auch der letzte wettbewerbler ins ziel und das spektakel hatte ein ende. für diese woche.









am nachmittag fahre ich mit anna hinter mir auf dem motorrad nach villa alejandro um dort mit den kindern eines sehr armes siedlungsgebietes unseren wöchentlichen spielenachmittag zu veranstalten. auf dem weg werden wir von dem einen oder anderen hund ein paar meter gejagt, bis wir sein revier verlassen. wir fahren beinahe die komplette strecke durch sand, befestigte straßen gibt es hier noch nicht. wir kommen zehn minuten zu spät an, wie immer ist niemand da. wir klopfen an die tür des gemeindezentrums, bitten um ausrufung. einen augenblick später wird mit einem knacken das informationssystem des barrios eingeschaltet, erst hört man noch den fernseher quasslen, der im gleichen raum steht, wie die sprechanlange, dann ruft die frauenstimme alle ninas und ninos zusammen. es heißt „los alemanes“ und langsam kennt man uns. wir warten auf dem fussballkleinfeld aus betonplatten. graß wächst hier nicht, aber betonplatten. aus allen richtungen trudeln die kinder ein. irgendwann fangen wir an mit irgendwelchen kleinen spielchen, versuchen die namen zu lernen, was unheimlich schwierig ist, ich kenne nur die allerwenigsten. irgendwann rennen zwanzig kinder im kreis, vergessen den tag und den ort und auf ein kommando werfen sie sich auf den boden oder ändern die richtung. im allgemeinen machen sie aber oft anderes, als „los alemanes“ sagen. aber das ist mir eigentlich relativ gleich. in diesem moment sitzen sie nämlich nicht vor dem fernseher und das ist das primärziel. wir haben ein paar spiele erfunden und vorbereitet, die meiste zeit jedoch rennen wir nur hin und her, ich trage jedes kind eine runde im gallop huckepack, bis ich sie mit einem beherzten schleudern abwerfe, nunja, absetze.
irgendwann stibitzt mir eines der mädchen meine mütze vom kopf und meine haare fallen mir ins gesicht, ich muss einem dieser hunde gleichen, die von der gleichen rasse sind, wie der hund, der sich in „die schöne und das biest“ in den fußsessel verwandelt. die kinder lachen. sie lachen über meine lustige perücke. ich sage, nein, sie sind echt, das sind echt mein haare, probiert mal, ich beuge mich vor und zehn kleine kinderhände ziehen zur versicherung an meinen echten haaren. sie lachen noch mehr. dann wollen sie eine frage stellen. 

aber ihnen fehlt das wort. rubio, blond, existiert hier im peruanischen spanisch fast nicht. es gibt keine gelegenheiten das wort zu benutzen. aber ich versichere ihnen, dass da, wo ich herkomme, sehr viele menschen so aussehen und das lässt sie wieder lachen. das ist gut, sie lachen. aber es wird schon dunkel. bald steigen wir auf das motorrad, nachdem wir die kinder von unseren beinen gekitzelt haben, und fahren nach hause.
nach hause.

nach hause. was ist das eigentlich? berlin fehlt mir. es gibt wohl herbst? wie ist das, herbst? und wie ist das, regen? und was ist das, laub? und was macht man damit, heizung? und was würde ich jetzt mit mama und brudi machen?

5 Kommentare:

  1. Klasse Eintrag! Dein Erzählstil lässt das alles wirklich super lebendig werden.

    Und schön, dass man dich auch mal wieder zu Gesicht bekommt!

    Zur Qualität der Fotos muss ich wohl nichts sagen ... wow ...

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  2. luise (die kleine schwester von sophie)20. Oktober 2010 um 18:24

    ich habs nur überflogen, aber es klingt gut. ich mag deinen erzählstil nicht. du lebst ein leben und keinen roman, lieber nico! und woher nimmst du die zeit das alles so liebevoll auszuformulieren?
    lass es dir gut gehen, und glaube mir, den herbst mit regen und allem drum und dran in berlin musst du nicht vermissen!
    grüß mir die sonne, deine luise

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  3. kleine schwester nina22. Oktober 2010 um 02:39

    ich lerne so viel von dir!
    romane sind ein stück aus dem leben!
    und die geschichten aufzuschreiben, bedeutet, sie festzuhalten und hilft, ihnen einen platz im herzen und in der eigenen wirklichkeit zu geben.
    nökkeschosch, du tust wunderbares!
    und du siehst mit dem herzen.

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  4. Rainer Maria Rilke23. Oktober 2010 um 04:08

    HERBSTTAG

    Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
    Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
    und auf den Fluren laß die Winde los.

    Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
    gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
    dränge sie zur Vollendung hin und jage
    die letzte Süße in den Wein.

    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

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  5. bruder des weltenbummlers24. Oktober 2010 um 04:33

    einfach wundervoll!
    unglaubliche erlebnisse

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