Montag, 30. Mai 2011

ich stehe auf, früh. ich ziehe die eingestaubten laufschuhe an. ich trinke ein glas wasser. dann öffne ich die beiden schlösser der haustür und trete auf die straße. ich blicke nach links und nach rechts, kein mensch. dann laufe ich los. zum ersten mal nach vielen wochen, nach langer zeit laufe ich… die hunde bellen nicht anders als vorher, die dicke luft limas atmet sich nicht anders als vorher, der sand der wüste fühlt sich unter den füßen nicht anders an als vorher, aber ich bin anders als …vorher.


ich laufe die strecke zum meer, ohne viel zu denken. dann komme ich an der nebeligen küste an, es scheinen wieder mehr vögel über die wellen zu fliegen, zum ersten mal seit langem tanzen die großen schönen pelikane wieder mit den wogen. ich glaube, sie haben jungvögel auf ihren ersten flugstunden dabei.


ich streife mir den stoff über den kopf, setze die nackten füße in den sand, schraube das medaillon an meinem hals fest zu und blicke aufs meer. dann laufe ich los, hinterlasse ganz ganz natürliche fußspuren im halbfeuchten sand. ich bleibe stehen und warte auf das wasser. es umspült wie kaltes leben meine knöchel, während meine zehen im dunkelgrauen sand versinken. dann lass ich mich ins meer ziehen…


ich tauche unter einer welle hindurch, streiche mir das aufgewühlt sandige salzwasser aus dem gesicht und sehe nach oben. dorthin, wo die möwen und ihre vielen verwandten segeln. die nächste welle überrascht mich, wieder tauche ich auf, schlage mir das haar aus den augen und atme. ich atme und atme ganz tief… ich spiele mit einer weiteren welle, hole erneut ganz viel luft, hebe das kinn und …rufe ihren namen. so laut ich kann, rufe ich ihren namen in den ozean hinaus. die nächste welle begräbt mich, ich tauche auf, atme ein und rufe ihren namen. nur für den fall.. für den fall, dass sie hören kann, rufe ich so laut und so lang, wie meine lunge hergibt. ich breite die arme aus und lass mich von der welle niederbrechen. dann wieder rufe ich ihren namen, nur für den fall, dass sie vielleicht unerklärlicher weise hören kann. vielleicht kann sie ja hören. wissen kann ich das ja doch nicht. also rufe ich, bevor die nächste welle willkommenermaßen an mir ihre kraft auslässt. ich rufe, ihren namen. dann hole ich noch tiefer luft und rufe, ob sie mich hören kann… der pazifische ozean ist unbegreiflich groß und schickt mir ein paar wellen, kleine wellen ja eigentlich, die mich dennoch umreißen. ich stehe wieder auf und rufe, bis mir die schläfen brechen wollen. ich tauche meinen kopf unter wasser, die kühlung tut gut. einige male noch rufe ich, frage, ob sie mich vielleicht hören kann… nach bald zwei monaten rufe ich sie. sie antwortet nicht, so wie sie vorher geantwortet hätte. aber ich rufe, vielleicht benötigt mein rufen jetzt ein bisschen länger... von hier dahin ist sicher ein langer weg, auch wenn sie ihn ohne jede gültigkeit von zeit zurückgelegt hat.


ich ignoriere zeit und raum und realität so wie so und rufe sie. dann zerstäubt die größte welle des morgens um meine haut, meine muskeln, meine knochen. die welle zerstäubt um mich, der ich noch mensch bin, um mich dann mit aller natürlichen gewalt und liebe unter sich zu begraben…

 
ich wasche mir den kopf im kühlen salzwasser der pazifischen ozeans… ich wasche mich. im namen dieses wassers steckt doch etwas von frieden? ich rufe sie, wasche mich und befriede etwas in mir. ich befreie mich von einer wochenlang lastenden unbeweglichkeit, von dieser klebenden, ekelhaften, entmachtenden untätigkeit wasche ich mich… ich sage ihr noch, ich komme wieder, vielleicht muss man mehr und lauter rufen. dann steige ich triefend aus den wellen, befriedet, ohne zu begreifen zwar, aber ein bisschen befriedet.

 
ich werde sie wieder rufen, nur für den fall, dass sie hören kann. ich hab es nicht begriffen und wissen kann ich es alles ja auch nicht, also werde ich wieder rufen, nur für den fall. nur damit sie weiß, dass ich an sie denke… mehr als vorher.





schreibend begegne ich dem, was ich vor einigen wochen mit zerschlagenem herzen und bei allem willen nicht begreifendem hirn geschrieben habe. verdammte scheiße, du hässlicher tod, was hast du dir nur dabei gedacht? wenn ich dich finde, dann stell ich dich an die wand und erschieße dich!
was wäre, wenn ich das tun würde? wenn der tod mir hier in lima auf der straße begegnen würde und ich ihm eine kugel in den schädel jagen würde… was wäre dann? würden die menschen um mich herum dann aufhören davonzusterben? weil der tod sie dann nichtmehr abholen könnte? und wie funktioniert diese frage überhaupt, ob man den tod töten kann…. kategorien, die man garnicht denken kann. und trotzdem tu ich es. ich denke.






ich rufe sie, nur für den fall, dass sie hört. ich denke, nur für den fall, dass es mir doch gelingt: das denken nach dem unbegreiflichen tod einer so guten freundin…

3 Kommentare:

  1. schön wieder was von dir zu hören.
    ihr papa

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  2. Lieber Nico,
    Ich habe geweint, als ich diesen Eintrag las. Ich habe geweint, als ich die Kommentare ihrer Eltern las und ich weine fast schon wieder, weil Du seitdem nichts Neues geschrieben hast und der Schmerz dadurch so gegenwärtig wird. Es wäre so schön, wieder was von Dir zu lesen.
    Schade, dass wir uns in Peru nicht kennenlernen konnten.
    Birte (Neles Mama)

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