Sonntag, 26. Dezember 2010

ein bisschen fest und dann packen

eigentlich ist das telefonat beendet, aber wie die maschinen dieser welt nunmal funktionieren, machen sie manchmal andere dinge, als man denkt. so sitze ich hier also auf meinem bett und lausche meiner familie. sie wissen nicht, dass ich sie noch höre, ich verstehe auch nur einzelne worte, aber diese stimmen zu hören, das ist mein weihnachtsgeschenk…

worüber sie wohl reden… wie die bratäpfel wohl schmecken werden… welches gesicht der eine oder andere wohl beim auspacken des einen oder anderen geschenkes macht… wie wohl das licht der kerzen ist… wie sich wohl die papierberge anhäufen werden…



jetzt habe ich mamas schöne kerze in sand von meinem strand gesteckt und angezündet, genieße die balsen-weihnachtskekse aus dem paket zweier sehr guter freunde bei weihnachtsmusik von sufjan stevens, die mir mein lieber onkel letztes oder vorletztes jahr empfohlen hat… es ist wirklich weihnachtsstimmung… früher habe ich aufsätze über poetische ambivalenzen geschrieben, heute versteh ich es. ich bin traurig. ich bin glücklich.

ob das jetzt glaubhaft ist oder nicht… ich versteh es selbst nicht… aber ich weine im augenblick nur mit dem rechten auge… als hätte sich die ästhetische metapher zu ihrer literarischen schwester hinzugesellen wollen.



nun ist weihnachten vorbei. es war schön, sehr schön. zwei wichtige parallelen gibt es trotz aller andersartigkeit zu weihnachten daheim: ganz viel essen und noch mehr familie… aber es hat mich nicht richtig erfüllt. …aber wie auch, was verlange ich bei der erinnerung, die ich an weihnachten im schnee hagens halte. es war ein anderes weihnachten eben. es hätte hier auch nicht besser sein können, in dieser familie zu landen, war gigantisches glück.



den abend habe ich mit packen verbracht. morgen früh bringt francisco mich zu einer großen tankstelle an der panamericana. ich werde mir wen suchen, der mich nach süden mitnimmt. mein ziel ist arequipa, eintausend einhundert kilometer, ungefähr zwei tage habe ich dafür zeit. zeit, die richtigen gesichter auszusuchen und in die richtigen autos einzusteigen. ich bin sehr scharf auf diese reise. schlicht, echt und ganz saftig soll es werden. also, auf in die berge, vierzehn tage, arequipa, la paz  und puno, als abschluss ganz besonders hoffentlich die besteigung des misti, des über die weiße stadt perus wachenden vulkans. legendäre fünftausend achthundert zweiundzwanzig meter über dem meer!


meine gedanken tragen mich nach hause.
warten wir ab, wohin mich meine beine tragen…

Freitag, 24. Dezember 2010

vor weihnachten

hilda sagt, dort sind zwei pakete für dich angekommen. ich mache einen satz die beiden stufen aus der küche in den hof hinab und sehe links auf der abgedeckten waschmaschine, die das wasser nicht heizen kann, wie scheinbar alle waschmaschinen limas, tatsächlich zwei pakete liegen. mich überrascht es, ich habe ja erst vor zwei tagen eines bekommen. es ist ein großes und ein kleines paket, merkwürdig fühlen sie sich an, sind sie doch zwei wochen lang unterwegs gewesen, kommen von einem ort, den ich mir oft vorstelle, der aber soweit von hier entfernt ist, dass alles zwischen dort und hier unendlich unvorstellbar ist. im gleichen moment lese ich die adressscheine und merke, wie gut es mir tut, die handschrift meiner großmama und meiner mamamama zu lesen. hilda nimmt wahr, dass ich mich direkt mit den beiden paketen in mein zimmer zurückziehe, die tür schließe und lange zeit nicht hinauskomme. ich nehme mein kleines stumpfes taschenmesser, das gute scharfe bleibt lieber bis nächste woche unbenutzt, und setze mich aufs bett, mit den beiden pappdingern auf dem schoß, denen man ihre reise durchaus ansehen kann. ich atme tief ein, dann schneide ich, viel klebeband, erst das kleine päckchen, eingewickelt in dieses raue, matte, bräunliche paketpapier finde ich luftblasenfolie. auch dessen klebeband schneide ich auf und falte auf, mir zittern die hände.

…ein kleiner trockener tannenzweig. ich nehme ihn ganz vorsichtig – wie etwas sehr zerbrechliches und sehr geliebtes… - und hebe ihn ganz ganz langsam, sein aroma strömt mir ins gesicht, noch näher hole ich den beweis für die existenz von tannenbäumen, die nicht aus plastik bestehen und bei mangelnder handwerklicher begabung nach anleitung zusammengesteckt werden müssen.

dieser duft macht mich weinen… ich sitze und atme ein, was mir sosehr gefehlt hat in dieser peruanischen vorweihnachtszeit. mir war nie zuvor bewusst, wie unbeschreiblich gut tanne duftet, welche große bedeutung dieses detail für weihnachtsgefühle hat… es ist wunderbar, ich bewege mich nicht, inhaliere, denke an daheim und meine großeltern…

ich höre nicht auf zu weinen, lege den zweig nach einigen lungen voll diesen duftes neben mich und mein herz wärmt sich mit jeder kleinigkeit in diesem päckchen mehr. in den nächsten stunden füllt der tannenzweig den raum mit seinem wirklich weihnachtlichen aroma, bis ich ihn einpacke, in der angst, sein aroma könnte vergehen.. für diese zeit fühle ich mich wirklich wie auf omas sofa…


nach einiger zeit lege ich das erste päckchen beiseite und widme mich jenem anderen. es kommt aus der gropiusstraße… da bin ich zuhause. ich kann mich nicht erinnern, dass mich das lesen einer adresse jemals zuvor so sehr berührt hat… ich liebe dieses graubraune paketpapier, verstärkt mit silbernem gaffa-klebeband lässt es sich nicht schnell öffnen, aber ich bewege  mich sowieso sehr langsam, tranceartig… ich wickle einen schuhkarton aus und warte einen augenblick, bevor ich ihn öffne. dann schlage ich den deckel auf und bin plötzlich… ganz magisch… und glücklich weinend…      …zuhause.

ich nehme die weihnachtsleckereien einzeln hinaus, es sind genau die dinge, die mir hier in diesen letzten wochen des jahres fehlten. besonders ein kleines transparentes tütchen mit aufgedruckten goldenen sternchen zieht meine aufmerksamkeit auf sich. in gerührter aufregung noch, aber ein bisschen beruhigt, öffne ich vorsichtig, in vorfreude badend die goldbandschleife. der duft, der in dieser tüte konserviert aus der geliebten küche bis hierher gelangt ist, treibt mir ein meer in den mund. vorsichtig nehme ich eines der mürben quadrate und beiße ab….

meine brust bebt. über meine wangen rennen erneut tränen. es sind glückstränen ob dieser himmlischen, von mama mit merklich unendlich viel liebe gebackenen lebkuchen. es sind unglückstränen ob der enormen distanz, die mich dieses mal in der heimlichsten zeit des jahres, in der meine familie so nah zusammenkommt, ohne dass auch nur ein herz fehlt, wirkliche sehnsucht lehrt... es sind gute tränen, ganz sicher.

als ich mein zimmer nach langer zeit verlasse, um mir das gesicht zu waschen, halte ich im türrahmen inne, sehe in den limeñer himmel und merke, wie glücklich ich bin. endlich spüre ich weihnachten. die komprimierte dosis all der dinge, die ich offenbar mit weihnachten verbinde, ist aus den beiden wichtigsten häusern meines lebens bis hierher gelangt, um mich zu beschenken. mein zimmer ist das einzige in lima, dass wirklich nach tanne duftet, ich kann hildas und franciscos zunge mit wirklich deutschen l(i)ebkuchen verwöhnen und habe für heute abend sogar etwas kleines auszupacken.

das einzige, was fehlt, ist der große runde tisch, an dem bald 13, statt normalerweise 14 personen platznehmen. mir fehlt der tisch und ich fehl dem tisch. sehr. gerade jetzt. ich bin dieses eine jahr nicht mit meiner familie zusammen, ich kann nicht. …durch diese pakete fühle ich mich euch aber so nah, dass ich es am ende gut ertragen kann. ich spüre die zugehörigkeit wie nie zuvor… ich spüre weihnachtliches glück. vor ein paar tagen war eben das für mich noch unvorstellbar...



vielleicht ist weihnachten
nichts als liebe zu den menschen.

begegnung am strannd

die abfahrt lurin/pachacamac führt eine ausladende kurve entlang, von der wir auf den pazifik sehen können. anna und ich. eigentlich sollte ihr freund mit im auto sitzen, aber er ist nicht angekommen am flughafen. nach viel angst und tränen in annas gesicht und vielen fragezeichen in meinem hirn hat sie eine email von ihm bekommen, wegen des vielen schnees ist er in frankfurt vier stunden verspätet gestartet, hat in madrid seinen anschlussflug nach lima verpasst und sitzt deswegen jetzt in santiago de chile. so sind wir also wieder nach süden aufgebrochen, ich kenne diese strecke von einem stadtende zum gegenübeliegenden jetzt gut. wen von euch darf ich da oben mal abholen?

wir sehen also auf den pazifik und anna sagt, ich will an den strand. wir fahren aber richtung jose galvez weiter, francisco und hilda wissen nicht so genau, warum wir zehn stunden lang unterwegs sind. dann passieren wir die wüste, den teil, durch den ich immer laufe, aber es ist anders als sonst. der wind fegt feinsten sand über die asphaltpiste, es sieht ganz verrückt aus. so verrückt, dass ich denke, bei dem wind müssen die wellen doch riesig sein. ich wende also und wir fahren zu meer. wir passieren zwei schranken, die wie ich glaube gegen pferdediebe schützen wollen, problemlos, weil die sicherheitsleute mich dort ja schon kennen. wir fahren diese holprige – anna sagt das gleiche, was ich immer denke – mediterran anmutende allee entlang und parken das auto schließlich vor den schuttbergen vor meinem strand. wir setzen uns in den warmen sand und lassen den blick schweifen, anna legt sich hin und holt zum ersten mal seit einem halben tag luft, ich gehe zum auto und hole eine leere flasche, um ein bisschen von dem tollen sand mitzunehmen. so verbringen wir einen augenblick dort, wie man augenblicke dort am besten verbringt: sinne freigelassen.

dann sehe ich etwas weiter links etwas, meine neugier ist geweckt. ich nähere mich, sehe: ja ein tier, vielleicht ein pinguin? nein, zu braun. vielleicht ein seehund? nein, zu klein. also ein seehundjunge? in diesem augenblick – ich habe nur noch drei oder vier meter abstand – hebt das kleine, trockene, leblos wirkende wesen des meeres seinen kopf und öffnet seine pechschwarzen augen… mein herz springt. gleich zweimal, erst aus heftigem schreck, dann aus noch heftigerem glück. ich gehe in die knie, direkt vor mir ein seehundjunge… ein wildes seehundjunge…

es ist ganz offensichtlich unheimlich schwach, von einer stärkeren welle bis hierher gespült, kraftlos liegen geblieben, von der sonne halb ausgetrocknet. wir holen wasser in unserer flasche und baden es, den rücken, den kopf, die augen befreien wir von den eiterigen tränen, die uns rühren. trinken will das kleine nicht, irgendetwas stimmt nicht. ich streichle es. das feuchte fell, ganz glatt vom talg, dennoch matt. nach einigem behutsamen annähern streichle ich seinen kopf… ich muss an emelie denken, das hier ist zwar ein sehr anderes tier, sieht man nur seine aus der nähe betrachtet unglaublich konstruierten gliedmaßen, aber es hat tatsächlich das gesicht eines hundes… ich streichle einem seehundjungen am pazifkistrand von südlima die stirn…

wir überlegen noch, es ins meer zurückzutragen, dann reicht jedoch eine welle so weit den strand hinauf, dass das kleine tier überschwappt und wenige meter weitergerollt wird. daraufhin richtet es mit aller letzter kraft seinen oberkörper auf und (mir fehlt das wort für die fortbewegungsweise von seehunden an land…) kriecht ein stück. nicht richtung meer, wie wir noch dachten, im gegenteil. es bewegt sich eindeutig vom wasser weg. weit kommt es nicht, aber die idee, es auf einen höheren teil des strandes zu heben, legen wir sofort wieder ab. wir verstehen nicht, was hier passiert, aber wir begreifen, dass es keinen sinn hat, in die natur derartig einzugreifen.

mit der vorstellung, dass das schwache seehündchen sich wohlmöglich aus dem ozean zurückzieht, um am strand in ruhe zu sterben, einem seehundkodex folgend, der der reinhaltung des reiches dieser so andersartigen tiere dient, gehen wir. wir sagen lebewohl, merkwürdiges, merkwürdiges gefühl…

Samstag, 18. Dezember 2010

kurze episode und zwei fetzen

um kurz vor sieben klingelt der wecker und ich stehe auf, beim öffnen der zimmertür schon spüre ich, dass etwas anders ist als normalerweise. ich laufe los, den gleichen weg wie immer. auf der brücke über die panamericana, an die ich mich in eineinhalb wochen mit ausgestrecktem daumen stellen werde, sehe ich schon... als ich die leichten schuhe dann in den tiefen sand setze, kommt aus süden eine beinahe-wolke aus möwen unterschiedlicher größe, malung und schnabelform. ich lasse mich in den sand, den ich mittlerweile irgendwie schon wirklich kenne, fallen, während diese wolke sich langsam auflösend über meinen kopf schwebt. es ist anders als normalerweise.

der himmel ist so grau, das meer ist so rau. die unendliche, farblose himmelsmasse hängt ganz tief über der erd- und meeresoberfläche, gen wüste scheint der nebel mit leichtem gelbbraunton durchsetzt, dieses licht, das dabei entsteht... die wasserberge stürzen mit großem getöse zusammen, so hoch haben sie sich zuvor nicht aufgerichtet. in hoher frequenz rollen die wellen und schieben sich bis auf den strand, dicken weißgelben schaum tragend. sie bersten heute so mächtig, die pelikangruppen fliegen nicht, gelegentlich ein einzelner oder mal zu zweit. ich vermute, der ozean lässt heute nicht zu, dass sich einer auf den vorherfliegenden verlässt. auch einzeln kann man die augen aber nicht von ihnen lassen, sie fliegen vor dem kamm der welle und wenn sie bricht, sich förmlich überschlägt, lassen die pelikane sich von der verdrengten luft einige meter in die luft heben, um dann in das nächste tal zu sinken. zwei der hunde, die bei meinem letzten strandbesuch ins pelikanmahl vertieft waren, ich erkenne sie wieder, galloppieren jetzt im seichten wasser am strand entlang... ja, so ein hund wäre ich..

tendenziell werde ich beim laufen schneller, kann die strecker in kürzerer zeit zurücklegen. genauso tendenziell bleibe ich immer länger am meer, hält das meer mich immer mehr gefangen. ich liebe es, mich dort fangen zu lassen. nur leider muss ich irgendwann zurück, auch zur arbeit. so auch heute, beim gehen drehe ich mich noch einige male um, um die vögel fliegen zu sehen, den unsichtbaren horizont zu suchen, mit meinem blick den jagenden hunden hinterherzujagen. (irgendwann werde ich mal einen freien tag hingehen und schlafen im sand. ich will dort am meer im sand schlafen...) dabei fällt mir auf, dass es an diesem meer ein geräusch nicht gibt, was ich sonst bisher immer gehört habe, wenn ich an anderen meeren war: das rollen der steine, wenn die wellen sich zurückziehen. hier gibt es keine steine. und was es auch nicht gibt, sind muscheln. keine einzige. dafür unzählige krebshäute. dann laufe ich los, auf dem rückweg vermischt sich all das, was ich sehe, wenn ich im wunderschön grauen – ja, es ist wirklich das perfekte grau – sand sitze, mit dem, was mir sepúlveda über die möwe kengah erzählt...



während ich hier halb liege und schreibe, zieht hilda in der küche nebenan drei meerschweinchen das fell über die ohren. ganz wörtlich. ganz wörtlich, ganz real. sie hat sie von ihrer minifarm mitgebracht, in einer großen stabilen plastiktüte, lebend. das war einmal... ganz real und ganz ganz nebenan.



wir freiwilligen haben ein angebot bekommen. in der selva, dem peruanischen urwald gibt es eine traditionelle zeremonie, die von vielen pseudopriestern für touristen durchgeführt wird. heute abend kommt allerdings ein echter meister nach lima, der sein werk beherrscht und die erfahrenden leitet und vor ungewollten entwicklungen bewahrt, um mit ebenjenen, die sich dafür entscheiden, eine solche zeremonie zu begehen. sie beginnt um neun uhr und dauert ungefähr bis vier uhr am morgen. die teilnehmer werden ein sehr dickflüssiges braunes getränk zu sich nehmen und vom meister in den schlaf gesungen werden.
ayahuasca. ein viele jahrhunderte altes gebräu, welches enorm stark halozinogen wirkende stoffe enthält. die schamanen suchen auf diese weise kontakt zu den ahnengeistern und gottheiten. ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich das möchte, oder nicht. ich bin nicht fertig geworden. ich werde heute nicht dahingehen. wie mag das wohl sein, ein so starkes halozinogen?

Montag, 13. Dezember 2010

am nächsten morgen

um die birne freizubekommen, lass ich mich um halb acht von meinem supersimpelhandy wecken, stehe auf, ziehe meine laufschuhe an, trinke ein glas selbstgemachte limonade und verlasse das haus.

bedenkend, dass ich seit zwei wochen zum ersten mal laufe, fühle ich mich erstaunlich gut. es ist nebelig über dem meer. ich komme am wasser an, setze mich in den grauen sand. der strand hat sich ein bisschen verändert. ich blicke nach rechts, an der landungsbrücke liegt im diesigen weißgrau ein mittelgroßes frachtschiff. ich blicke nach vorn, meer und pelikane. ich blicke nach links, mir fällt ein, was mein einziger deutschschüler gestern gesagt hat.

ich stehe also auf und laufe wieder los, am strand entlang. es liegen mehr dinge als sonst herum, kram, mancher müll und je weiter ich laufe desto mehr – und das wundert mich erst – grün. so eine art entengrütze und etwas ähnliches wie seerosen, die schwimmkörper haben, die vergnüglich unter meinen füßen platzen. was machen denn süßwasserpflanzen hier am strand? richtig, in den anden hat es angefangen zu regnen und die flüsse gen küste füllen sich mit wasser. die mündung des lurin ist mein ziel, weit bin ich nicht mehr weg, das verrät all der kram, der sich im winter im trockenen flussbett angesammelt hat und nun mit den ersten fluten ins meer geschwemmt wird. mein deutschschüler wohnt nah am lurin. ich sehe eine gruppe hunde. sie zerren zu fünft das wenige fleisch vom so rafiniert leicht gebauten knochen eines toten pelikanes ab, mich misstrauisch anblickend und sich beizeiten gegenseitig anknurrend. zwei meter weiter liegt ein weiterer hund. es sieht aus, als würde er träumen, den kopf auf die überschlagenen pfoten gelegt... aber er ist tot. ganz tot. ein malerisches bild gibt er...

einer der fünf hunde nähert sich dem leichnam, als wäre es ein schlafender gefährte, den er zum weiterziehen wecken könnte, dann schreckt er zurück, macht nur noch vorsichtig annähernde schritte, nimmt den noch feinen geruch war, begreift dann. sein gesicht verändert sich merklich, er begreift. erschüttert wendet er sich ab. ich bin ergriffen von diesem menschlichen moment... tu dann das gleiche und laufe weiter.

hier liegt ein schuh, da eine plastiktüte weiß ich was enthaltend. ich sehe die flussmündung. vor zwei wochen hätte man hier noch hinüberspringen oder durchs steinige, seicht auslaufende flussbett einige meter weiter oberhalb schreiten können. jetzt ist das unmöglich, das wasser aus den bergen hat sich in den sand gefressen und schon einen steinwurfbreiten strom gebildet, der in wirbeln auf die auslaufenden wellen trifft. süß und salzig, so verschieden. nass und nass, so gleich. der ganze strand rundherum voller kram und grün. ich gehe einige schritte flussaufwärts, dort sieht alles nach fließwasseridyll aus. hunderte möwen sitzen am ufer im flussgrün, zwischen ihnen gelegentlich ein schneeweißer – wie merkwürdig, hier von schneeweiß zu reden... - reiher. einige von ihnen setzen sich kurz vor dem beginn der abfallenden verwirbelungen in das flusswasser, lassen sich treiben und drehen sich dabei wie auf einem karussel, allerlei aus dem wasser sammelnd. in letztem moment, bevor der strom sich als halbschnelle durch die selbsgefressene miniatursandschlucht drängt, heben sie ab und fliegen 30 meter zurück, um das spiel von neuem beginnen zu lassen. ich setze mich auf einen großen stein etwas oberhalb des wassers und beim anblick der möven und ihrem jugendlichen treiben, beim anblick der pelikane, die etwas höher über meinem kopf kreisen, beim anblick der wasserkreisel und des hin und wieder vorbeiziehenden mülles versinke ich...

eine ganze weile später erlange ich mein bewusstsein zurück, so sehr war ich in gedanken, dass ich beinahe eingeschlafen wäre. und über was ich alles nachgedacht habe... die aufregung des vorabends ist vergangen. mein herz ist beruhigt, gestillt und der kopf um einigen querliegenden gedanken erleichtert. eine uhr habe ich dort am strand nicht. irgendwann mach ich mich ganz langsam wieder auf, laufe zurück. vorbei am hund, den eine welle auf den rücken gedreht hat, was ihn unglaublich dargeboten wirken lässt. vorbei an einer flachen senke voller meerwasser, worunter aus vielen vielen kleinen löchern luft aus dem strandboden sprudelt, eine sehr merkwürdige sache, die mich solange bannt, bis das wasser versickert ist und ich mich frage, woher denn die luft aus dem sand kommt. verfolgt von den fünf hunden, nein, es hat sich ein weiterer dazugesellt. als ich anhalte, um meine verkürzten muskeln vor dem rückweg zu dehnen, laufen sie links und rechts an mir vorbei, blicken mich noch kurz an, dann aber in richtung norden. was haben diese hunde für ein leben. so rau, bescheiden, frei, beschränkt, schamlos, schandhaft, so wiedersprüchlich... wenn ich ein hund wäre, wäre ich auch einer von denen hier, nicht einer aus der stadt.... hunde vom pazifikstrand...

wie gut haben diese zweieinhalb stunden getan...wie gut ist es, gelegentlich ohne zeit zu sein.

 

Freitag, 10. Dezember 2010

nicht da...

ich sitze auf meinem bett. eine der vielen fliegen stößt gegen eine der saiten der gitarre, die halb auf meinem schoß liegt. ein e erklingt. draußen vor dem nachbarhaus trifft sich gerade franzisco mit dem mann meiner – sagen wir mal – gastcousine. die beiden haben ein grundstück im nächsten apfel (...straßenblock) gekauft und die dortigen mauern abgerissen, um bald gras anzulegen, einen kleinen garten eben, grün für die familie. heute nachmittag kam ein lkw und hat den schutt abgeholt. jetzt erklingt gerade ein d, glaube ich. auf meinem linken bein sitzen vier fliegen. am abend geht gladi (seine eltern haben ihn fälschlicherweise gladimir genannt, weil sie den namen vladimir so verstanden haben... ist das wirklich so gewesen? keine ahnung) durch die straße und wird von ein paar heranwachsenden angehalten. sie bedrohen ihn. auf dem bislang ungenutzten grundstück ist etwas gewesen, was ihnen viel wert ist und nun ist dieses etwas verschwunden, mit dem lkw. sie bedrohen ihn. keiner weiß, was das etwas sein mag, geld, drogen, es wird spekuliert. eigentlich wollte ich mich mit francisco und gladi treffen, jetzt eben. um zehn. es ist dunkel, nur das orangefarbene licht der straßenlaternen erhellt die straßen ein wenig. das ist sowieso irre, alle straßenlampen haben diese temperatur, soweit das auge reicht sieht man dieses - - es ist irgendwie ein slumlicht, glaub ich, kommt mir so vor... ich wollte also vor zwanzig minuten auf die straße gehen. aber ich habe jetzt keinen kopf dafür. ich habe eine email bekommen. eine sehr kurze, von meinem bruder... ich denke viel. vor allem denke ich aber: ich bin so weit weg. ich bin so verdammt weit weg. ich bin so verdammt unvorstellbar weit weg. was ist, wenn so etwas mal schlecht ausgeht? ich bin so verdammt unvorstellbar machtlos weit weg von meinem bruder. was ist, wenn etwas mal nicht gut, sondern schlecht ausgeht? es gibt momente, in denen muss man da sein. man ist aber nicht da, wenn man eben verdammt unvostellbar machtlos weit weg ist. das denke ich. verdammt, ein glück, es ist gut ausgegangen...

es ist ein gefühl, das ich ganz enorm wahrnehme: mein losgehen hat ein loch hinterlassen. ich bin eben nicht da. es gibt wirklich wen, der mich braucht. aber ich bin verdammt unvorstellbar machtlos weit weg und nicht da. so ist das also, wenn man sein leben für eine zeit verlässt und in kauf nimmt, die anderen mit diesem loch zurückzulassen. es ist kein gutes gefühl. hoffentlich geht nichts schlecht aus, solange ich nicht da bin. 

ich bin schwach an diesem punkt. wen bittet man, dass nichts schlecht ausgehe?

Sonntag, 5. Dezember 2010

Mittwoch, 1. Dezember 2010

andine traditionen in hauptstädter kleinstschule

das instituto educativo particular "sagrado corazon de villa" feiert seinen dritten geburtstag. es wird von zwei meiner gasttanten und ihren männern geliebt, gepflegt, aufrecht erhalten und jeden monat ein bisschen verbessert. hier gehen kinder von drei bis etwa zehn jahren in die vor- oder grundschule und lernen in wesentlich besseren umständen, als in staatlichen schulen möglich. zum beispiel: keine klassen von fünfunddreißig oder mehr schülern, sondern sechs, sieben, vielleicht mal zehn.. dafür zahlen ihre eltern eine kleine gebühr, gemessen an "normalen" privatschulen allerdings verschwindet wenig. diese ersten drei jahre waren im grunde klare verlustjahre für die schulleitung. erst so langsam stabilisiert sich die finanzlage andeutungsweise. verdienen tut hier niemand. es ist eine herzenssache. und dort darf ich den kleinsten die ersten englischen worte beibringen. sehr andere arbeit, aber mitlerweile entwickle ich scheinbar pädagogische fähigkeiten... viel konnte ich mir abgucken. gerne bin ich dort so wie so.

bei dererlei festlichkeiten sind tanzvorstellungen sehr üblich. neben wenigen modernen tänzen spielen die alten traditionen eine merklich größere rolle. die familien, die hier leben, sind zu größten teilen innerhalb der letzten fünfzig jahre aus ganz peru migriert, auf der suche nach so allerlei, und haben ihre bräuche mitgebracht. bis heute leben sie in tanz und musik weiter...


was für gesichter...






... und was für augen.

es ist ein regen von motiven, die mich so glücklich machen, nicht nur als irgendwiephotograph, sondern einfach als mensch. ich hab wirklich glück, eine so gute kamera bei mir zu haben. wenn euch die bilder nur halbsosehr ansprechen, manchmal berühren, wie mich, dann hat der blogeintrag seine aufgabe schon weit mehr als erfüllt...

... neben den kindergesichtern meine drei liebsten:



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