Donnerstag, 30. September 2010

schulweg

ich stehe um sieben auf, der boden draußen ist nass, nicht durch regen, eher durch nebel, der die nacht über lima befeuchtet. nur langsam hebt sich die graue decke, manchmal kaum. erste geräusche von der straße sind schon vor einiger zeit zu mir ins zimmer gedrungen, jetzt mischen sich die kinderstimmen dazu. ich esse ein bisschen frühstück mit dunklem tee, milch ist wenigstens in diesem haus nich so üblich. ich ziehe noch einen pullover mehr an, es ist frisch. dann mache ich mich auf den weg, ich trete auf asphalt, der ganz ausgeblichen ist. mittlerweile ist der boden auch getrocknet. von beiden seiten schiebt sich sand auf die straße, meine fußabdrücke bleiben, bis der nächste, dem gesicht eines der sehr alten mannes ähnlich gefaltete ford-pickup den stoff , aus dem dieser distrikt zu großen teilen besteht, wieder aufwirbelt. ich gehe bergauf. ostwärts überwächst die stadt die hügel und die sandwege, die sich wie graugelbe adern durch diese vorstadtlandschaft ziehen. mich ergreift diese eigenartige schönheit und ich wünsche mir, ein bild von diesem blick an meine kahlen zimmerwände zu malen. vorerst fülle ich die leere aber ersteinmal mit vokabeltabellen... westwärts ein ähnliches bild, irgendwo hinten den hügeln muss auch der pazifik leben, den habe ich nur auf dem weg vom flughafen gesehen, unbeschreiblich malerisch, diese wüstenküste. und es gab wellen, echte wellen. ich sammle meine gedanken, weg von wellen und sandadern, zurück zum weg. die motoren der dreiräder knarzen die straße hinauf, transportieren schüler zum colegio rodrigo lara bonilla. als ich ebendieses passiere, denke ich: nein, wie unerklärlich, ich bin in lima...
meine füße tragen mich um noch zwei häuserecken - vorbei an kleinen läden, vielen uniformierten kindern, unzähligen hunden, die sich in der einen seitenstraße beißen und raufen, vor meinen füßen aber spielend jagen - dann betrete ich durch ein immer geschlossen gehaltenes stahltor einen kleinen innenhof. zu meiner linken ist ein kleiner raum.
an winzigen tischen sitzen auf winzigen plastikstühlen winzige kinder, einige relativ spanisch, andere mit deutlich indigenem einschlag, wenige mit dunklerer haut und ein paar chinoperuanische.
es ist zwanzig minuten nach acht und in der winzigen schule „sagrado corazón“ kommen auch die letzten schüler an. ich setze mich auf meinen stuhl, für die nächsten stunden amüsiert über meinen geometrischen kampf. die junge lehrerin dieser vorschulgruppe stimmt ein lied an, ich verstehe nur bruchstücke, aber muss unweigerlich lächeln. dem fröhlichen folgt ein sehr bewegender moment: das vater unser, gesprochen von einem chor von kinderstimmen...

...
por que tuyo es el reino
el poder y la gloria
por los siglos de los siglos
amén.

Samstag, 25. September 2010

la ciudad y los perros

auf der suche nach etwas essbarem... oder wohlmöglich nur, weil er unverbrauchbar viel zeit hat, streift ein hund durch die straße, ohne dabei mit dem linken vorderlauf aufzutreten. sein fell ist steif und matt, am rücken kaum dichter, als am kahlen bauch. er hält bei jeder bermerkenswerteren müllansammlung inne, blickt sich um, betrachtet das farblose durcheinander, findet vielleicht etwas, nichts gesundes in jedem fall. er inhaliert die luft von jose galvez, dem distrikt, in dem er lebt. sie ist angefüllt von dem staub der wüste, den abgasen des vorbeifahrenden käfers. dessen blech ist durchfressen von rost, die reifen haben kein profil, aber der motor läuft seit dreißig jahren. dem käfer folgt zufällig ein motorisiertes dreirad, der fahrer ist vermutlich etwa sechzehn jahre alt und hat auf dem lenker eine lautsprecherbox befestigt, die mit aproportionaler lautstärke musik in den äther bläst. einen moment später ist es wieder still. über die straße sind unzählbare telefon- und stromleitungen gespannt, die zwischen den häusern ein netz bilden. die häuser sind nicht selten im bau, da wird ein stockwerk aufgebaut, dort ein fenster repariert. im eckhaus ist ein kleiner laden, der nicht begehbar ist. gelegentlich ruft jemand „senora“, dann kommt eine frau aus den hinteren räumen, wo sie gerade für ihre familie und die deutschen freiwilligen kocht oder das wohnzimmer putzt, um dem kunden ein paar kekse, backpulver und drei dosen mit makrelenfleisch zu verkaufen. über dem laden ist ein kleines internetcafe, das über eine enge wendeltreppe zugänglich ist. wiederum oberhalb ist die dachterasse des verwinkelten und offenbar jedes jahr ein bisschen erweiterten hauses. als ich am morgen meiner ankunft dort oben stand und um mich blickte, war ich von dieser stadt und im besonderen diesem armen wüstengrauen distrikt schon so erfüllt, dass ich ein unbegreiflich spannendes und intensives jahr vor mir liegen sah.

Ich habe ein zimmer, eine ausschließlich sehr kalte dusche, eine der schulen, in der ich arbeiten werde, direkt gegenüber, die andere innerhalb von fünfzehn fußminuten erreichbar. anna und ernesto, sie ukrainische deutsche, er halb kubanischer deutscher, sind schon seit einem monat hier, beide sprechen unheimlich gut spanisch. ich nicht, verstehe das allermeiste nicht, besonders die hastigen kinder, die kleine gruppe zahnloser und alkoholisierter männer am straßenrand, die routinierten frauen auf dem markt... ich verstehe einfach sehr viel nicht. sprechen kann ich noch viel weniger. ich lebe noch in einer sprachwelt einzelner wörter...

es ist gut, hier zu sein. es gibt keinen besseren ort. und die menschen hier sind die richtigen.
ich habe viel zeit, aber jede sekunde ist gefüllt. ich gehe in eine vorschule, um spanisch zu lernen, spiele fussball mit den jungs der schule hier, gehe durch den markt und trinke erdbeersaft mit milch und ei und honig oder ganz frischen orangensaft von mir unbekannter süße, fahre auf franciscos motorrad mit zum fluss lurin, der im winter kein wasser hat, an brennenden müllhaufen vorbei, esse die absolut großartigsten kartoffeln, die es geben kann, lerne jonglieren, sitze im kombi auf dem weg durch den regellosen verkehr, lerne die süßigkeiten der winzigen stände am straßenrand kennen, freue mich über die netten obstpreise und die vielzahl der fruchtsorten, bin noch sehr vorsichtig, mit meiner kamera auf die straße zu gehen, deshalb auch bisher wenige photos, ich brauch ein paar wochen, die gefahren abzuschätzen...

trotz allem, es ist ein märchen. es fühlt sich sehr unwirklich an, durch die nächtlichen straßen von jose galvez zu laufen, einem distrikt von villa maria del triunfo, was wiederum ein stadtteil im süden von lima, der gigantischen, unüberschaubar riesigen hauptstadt perus ist... stellt euch vor: lima....

...wie immer ganz unter mehr photos...

abrazos
n

Montag, 13. September 2010

zurücklassen

wie sehr herz und hirn an das eine oder andere wachsen, ist garnicht zu begreifen. manchen dingen sprießen dann beine und sie laufen davon... einfach so und dann steht man da.
ich habe entdeckt, dass mir auch welche gewachsen sind. lange beine... sie hier still zu halten, fühlt sich unnatürlich an. ich werde also wohl oder übel - von beidem empfinde ich soviel, wie vielleicht noch nie in meinem leben - laufen müssen. ich habe mir einen stock gesucht und binde an dessen oberes ende ein rotes tuch mit weißen punkten zu einem beutel. darin verstaue ich dieser tage ein paar dinge, die ich unweigerlich benötige. im gleichen atemzug beginne ich, abschied zu nehmen. und das ist das merkwürdige: ich spüre nur ende, soviel davon, wie ich kaum ertragen kann. vom aufbruch hingegen habe ich noch nicht viel wahrgenommen. ein wenig betäubt vielleicht.. und all diese dinge zurückzulassen - es ist, wie: beenden.
ich fühle doch ganz tief: ich liebe mein leben. und ich lebe doch weiter.. was ist dann so schwierig?  und ich erkenne dann: es ist nicht das leben als solches, nicht das material. es ist die art, die formen sind es, die formen und die farben. die laute sind es. das ist es, was ich liebe.

viele dieser formen, dieser eigenheiten muss ich zurücklassen für lange zeit. nicht für ewig, nicht für ewig.

ich weiß nicht wie oder ob ich überhaupt kann.... abschied nehmen. das kann ich garnicht, nein, das funktioniert nicht. und deshalb nehme ich meine beine und mach mich auf die reise. einen gedanken an jedes ding, an jede form und farbe, an jeden laut. an jede seele einen gedanken im herzen.

verabschiedung muss eine hohe kunst sein... ich beherrsche sie nicht. mir bleibt nur zu sagen:
ich gehe, in verbindung, und kehre zurück, wenn die zeit dafür gekommen ist.

eine sache noch: ich weiß nichts, außer einer sicherheit. ich kenne den ort, die seelen, zu denen ich zurückkehren werde. und das ist der wichtigste gedanke bei allem trieb, den meine neuen beine verspüren.